Wie wenn wir es geplant hätten, ist nach Emanuel Geisser und seinem Wintermond jetzt, von Juni bis August, Thomas Galler mit einer veritablen Sonnen- und Sommerarbeit zu Gast. Das passt hervorragend, denn in gut drei Wochen wird die Sonne ihren mitttäglichen Höchststand über dem Horizont erreichen. Es wird, falls sie dann zu sehen ist und nicht hinter Regenvorhängen unsichtbar bleibt, herrlich werden, mittsommers, am längsten Tag des Jahres ... Obwohl gerade dieser Höhepunkt des Sommers – wie banalerweise jeder Höhepunkt – in eine Talfahrt münden wird: Die Tage werden anschliessend wieder kürzer.

 

Thomas Gallers Einladungskarte zur Ausstellung «Palm Trees, Sunsets, Turmoil» ...

 

Thomas Gallers Werk kreist um Fragen der medialen Repräsentation, der Autorschaft und der Verschiebung von Bedeutungen, zum Beispiel bei im Internet gefundenen Bild- und gelegentlich auch Textmaterialien. Er reflektiert mit einer kritischen und zugleich eminent spielerischen Haltung die Erzeugnisse und Phänomene unserer Medienkultur. In einigen seiner Arbeiten zeigt Galler Bildmotive militärischen Ursprungs, in «Bright Star» von 2012 beispielsweise Maschinen einer Luftwaffe, die vor den ägyptischen Pyramiden Parade fliegen. Die weltbekannte historische Sehenswürdigkeit gerät dabei in einen seltsam spannungsgeladenen Widerstreit mit den beinahe heroisch und – trotz der Faszination – doch offensichtlich aggressiv in der Luft stehenden Kampfjägern und Helikoptern. Galler meint in diesem Zusammenhang: «Grundsätzlich interessiert mich die Verschiebung von kriegsthematischen Motiven in einen anderen Kontext wie den eines Kunstraums.» Tatsächlich geschieht bei dieser Übertragung einiges. Nicht nur, dass die Motive, befreit von ihrem Umfeld, selbstständig, das heisst ohne weitere Zusatzinformationen, zu funktionieren beginnen, losgelöst zum Beispiel von den propagandistischen Zwecken, wir nehmen sie auch plötzlich anders wahr. Das ist, weil wir Bilder im Kunstraum grundsätzlich anders lesen, als in der Presse oder der Werbung, weil wir sie grundsätzlich als Bilder betrachten und nicht als Illustrationen eines in einem Text beschriebenen Vorganges. Und seltsamerweise stellt sich jetzt auch plötzlich die Frage nach der Echtheit der Motive, nach den Eingriffen des Künstlers, da die Bilder im Kunstkontext mit wesentlich erhöhter Aufmerksamkeit betrachtet und besprochen werden.

In seiner neusten Arbeit «Sunsets, Palm Trees, Turmoil» hintergeht uns Thomas Galler mit einer perfiden visuellen Idee, denn die Fotografien, die er im Schaukasten ausstellt, zeigen nicht das, was wir auf den ersten Blick zu sehen glauben. Die ausgestellten Postkarten stellen Sonnenuntergänge dar, harmlose, oft kitschige, auch einige abgeschmackte Motive, die uns an Ferienprospekte erinnern und eine Sehnsucht in uns wecken, der wir zwar unausgesprochen gerne nachgeben würden, die uns aber andererseits auch wieder so verdächtig erscheinen, dass wir uns überkritisch abwenden. Was ist das überhaupt für eine Welt? All die Palmen und Pinien, die Landschaften im Gegenlicht des Abends, die Schattenrisse vor den im Sonnenlicht verfärbten glitzernden Wasserflächen von Flüssen, Seen und Meeren. Und überhaupt: Wer glaubt denn heute noch, was er auf Postkarten sieht? Bei geschickter Auswahl des Blickwinkels, einer professionellen Handhabung der Geräte und einer präzisen Nachbearbeitung am Computer, ist heute alles möglich und jeder Ort scheint ein perfektes Paradies.

 

... und die auf den ersten Blick unbeschwerte Sicht auf die Sonneruntergänge im Schaukasten.

 

Im Schaukasten hat Galler unter die Sonnenuntergänge aus seiner grossen Sammlung nun allerdings Postkarten gemischt, die uns Abendstimmungen aus Afghanistan und Irak zeigen, Motive, die von Soldaten in Zeiten des Krieges aufgenommen wurden. Spätestens jetzt kippt das Thema in eine völlig unerwartete Richtung und wir müssen uns fragen: Inwiefern hat der persönlich biografische, kulturelle oder politische Hintergrund des Auslösers einen Einfluss auf das Motiv? Und inwiefern muss ich diesen Hintergrund bei meiner Bewertung des Motives berücksichtigen? Darf ich mich von einem Sonnenuntergang zum Träumen verleiten lassen, wenn er unter tragischen Umständen fotografiert wurde? Da helfen uns keine Regeln der Bildbetrachtung mehr weiter, denn die Enthüllung dieser Tatsache führt uns beim Nachdenken weit über die Bilder hinaus.

Diese Postkarten, wie Fotografien im Allgemeinen, zeigen immer Ausschnitte, Ausschnitte einerseits aus dem Raum und andererseits aus der Zeit. Dass die Fotografie einen Ausschnitt aus dem Raum zeigt, bedeutet, dass wir weder das Links noch das Rechts, das heisst keine weitere Umgebung des Bildes erkennen und damit gänzlich vom Blick des Fotografen abhängig sind; die kurze Belichtungszeit des Fotoapparates andererseits lässt uns über das Vorher und das Nachher des Bildes völlig im Unklaren. Dass wir uns bei der Aufnahme eines Sonnenuntergangs für gewöhnlich eine eher ruhige, friedliche Szenerie vorstellen, steht im krassen Kontrast zur Information über die Urheber und Orte der Aufnahmen. Kabul, Kunduz oder Herat sind keine Feriendestinationen, sondern der Mittelpunkt wirrer Kriegsgeschichten, von denen wir allenfalls etwas mitbekämen, wenn uns das Bild links und rechts, vorher und nachher mehr zeigte.

Die Beunruhigung, die uns angesichts solch hinterhältig friedlicher Motive erfasst, spricht bereits der Titel an, den wir erst jetzt vollständig verstehen: «Sonnenuntergänge, Palmen, Aufruhr», wobei «the Turmoil of War» auch «die Wirren des Krieges» sind und damit den Hintergrund der Bilder direkt ansprechen. Allmählich geraten wir selber in Aufruhr, wenn uns klar wird, was die Konsequenzen der Arbeit Gallers sind, und wir uns eingestehen müssen, dass wir uns einlullen liessen von den Motiven und nicht über den Rand der Postkarte hinausblickten. Nun ist es allerdings endgültig vorbei mit der Idylle ...

Vielleicht rettet uns jetzt nur noch die Einladungskarte, sie ist ebenfalls Teil der Auslegeordnung, denn dort steht, einigermassen unverdächtig, als Legende: Himmel über Herisau bei Sonnenuntergang. Die Stimmung ist zwar dramatisch, aber immerhin möchten wir das gerne glauben: Es ist Herisau. Keine Palmen zwar, aber auch kein Krieg. Nur dieselbe Sonne, die ungeachtet der beleuchteten Szenerien untergeht, überall, jeden Tag.

Matthias Kuhn

 

Thomas Galler wurde 1970 in Baden geboren. Von 1995 bis 1998 studierte er an der HGK Luzern Bildende Kunst. Verschiedene Auslandstipendien brachten ihn unter anderem nach New York, Paris und Kairo. Galler lebt und arbeitet in Zürich.

 

Weitere Materialien
> Bildergalerie zu Thomas Galler

Weitere Informationen
> Thomas Galler unter http://www.thomasgaller.ch