Emanuel Geisser war schon einmal hier. Im ersten Schaukastenjahr präsentierte er mit der Appenzell Biennale (zusammen mit Christiane Rekade und Peter Stoffel) den englischen Künstler Simon Starling. Jetzt ist Geisser zurück, fast sechs Jahre später und zeigt eine eigene und neue, eigens für den Schaukasten konzipierte Installation: «A moon or a button». Ein Mond oder ein Knopf. Und das einen Tag nach dem prächtigsten Vollmond seit langem, einem Mond, der vergangene Nacht das ganze Appenzellerland in silbernes Licht tauchte. Fast kommt man in Versuchung zu sagen: ... und die Nacht zum Tage machte. Doch das stimmt nicht. Das Mondlicht ist wesentlich diskreter und weicher als das Sonnenlicht, es zeigt die Landschaft zauber- und rätselhafter, es täuscht uns über deren Einzelheiten hinweg, mild und schön. Schliesslich ist das Mondlicht aber bloss eine Reflektion des Sonnenlichtes und der Mond täuscht unsere Sinne, steht blendend hell am nächtlichen Himmel und leuchtet doch nicht selber.

 

Emanuel Geissers Einladungskarte zu «A moon or a button» im Schaukasten.

 

Vor ein paar Jahren schrieb Emanuel Geisser zu seinen Arbeiten: «Scheinwerfer und Spiegel, Fernrohre, Stratosphärenballone und unkonventionelle Messsysteme bilden die Forschungsapparaturen in meinen räumlichen Anordnungen, verbinden sich mit Zeichnungen auf Böden und Wänden, Landkarten und eigentümlichen Objekten zu alchemistischen, ihren eigenen Gesetzen gehorchenden Gleichungen. Versatzstücke und Referenzen aus der Geschichte und Zitate aus Film und Literatur verweben sich mit persönlicher Mythologie zu alternativen Weltmodellen und erzählen von Expeditionen» auf der Suche nach dem Wunderbaren und Rätselhaften. Mit diesem Ansatz hat er auch hier in der Gegend schon verschiedene Arbeiten entwickelt und installiert. Zwei wunderbare Styroporlandschaften, «Sci-Field» und das Gebirge «Ilex Range», seinerzeit im Projektraum exex in St. Gallen, «The edge of the forest» im Rahmen von «För Hitz ond Brand» im Volkskundemuseum in Stein oder «Orlov-Excelsior» zur Eröffnung des Palais Bleu in Trogen.

«A moon or a button» zehrt von dieser Vergangenheit der unsystematischen Forschungen und Welterklärungsversuche und treibt sie noch um ein ganzes Stück weiter, präzisiert die Ansätze, nicht nur in der Denkweise, sondern auch in der Installation. Und weil im Schaukasten die Dinge jetzt so übersichtlich vor einem stehen, kommt es einem auch so vor, als wäre alles erkennbarer, verständlicher und in gewisser Weise auch logischer geworden. Der Schein trügt: Wenn wir einmal genau zu schauen und überlegen beginnen, dann ist im Geisser'schen Mond-Knopf-Modell nichts so wie es scheint.

Einige Beobachtungen: Der Mond, eine versilberte Scheibe, wirft seinen Schatten nicht auf die Erde, sondern lässt das Licht durch, welches auf den Wänden des Universums als elliptischer Lichtschein erkennbar wird. Zudem ist der Mond mehrfach von einem Vorhang verhüllt und doch eher ein Loch in diesem Universum, obwohl er als verspiegelte Scheibe das Licht zurückwerfen müsste, wirft er uns ein Bild zurück, das uns, wenn wir uns auf eine genaue Betrachtung einlassen, nichts zeigt als die unendliche Weite des Raumes und – uns selbst. Einiges an diesem Modell scheint künstlich, zwei Figuren stehen im Raum, die eine richtet den aufmerksamen Blick auf eine Schautafel, eine Projektionsfläche, oder eben einen Vorhang, die andere weist in die Weite des Universums hinab, wobei eben, wie gesagt, aus der Weite dieses Universums, das dürfte den Mann ziemlich erschrecken, auch einer hinaufblickt und in die Gegenrichtung zeigt. Und darüber, dass das, was ich für den Mond hielt, vielleicht ein Knopf ist, den ich nur zu drücken brauche, um wer-weiss-was auszulösen, darüber haben wir jetzt noch gar nicht nachgedacht.

 

«A moon or a button» – Mond oder Knopf – im Schaukasten.

 

Trotz dieser Künstlichkeit beinhaltet die Anordnung auch eine ganz präzise Wahrheit. Das Licht beispielsweise, auch wenn wir es Kunstlicht nennen, ist immer wahr. Die Schatten beweisen es. Auch die beiden Männer sind wahr. Wir nehmen an, dass sie im Modell an unserer Stelle stehen, der eine sieht mit unseren Augen, der andere zeigt mit unserem Finger.

So ist «A moon or a button» letztlich ein Panoptikum der Täuschungen, ein (vergessenes) Museum der vieldeutigen Überlagerungen und Überlegungen, ein Kabinett der Imagination. Geisser meint dazu lakonisch: «A moon or a button, das heisst, dass nichts so ist, wie ich es gesehen und alles ganz anders, als ich es mir vorgestellt habe.» Der Mond ist tatsächlich ein schönes Bild dafür: «Seht ihr den Mond dort stehen? / Er ist nur halb zu sehen / und ist doch rund und schön.» Matthias Claudius dichtete dies. Heute früh 6.56 Uhr ging der Vollmond unter und wenn er heute Abend um 19.09 Uhr auf 90.02° über dem Horizont wieder aufgehen wird, dann ist er zwar nur noch zu 99.26% zu sehen und doch ist er «rund und schön», eben anders als er scheint.

Emanuel Geissers Arbeit ist vielschichtig, vieldeutig und geheimnisvoll. Zu seinen Interessen, Hintergründen und Strategien zitiert er folgendes Gedicht des Luzerner Autors Theo Kneubühler: «Der Himmel muss hoch sein, damit der See spiegelt, / was in seiner Nähe ist / doch stimmt nicht: der Himmel muss tief sein, / damit der See spiegelt was fern ist / das Ferne spiegelt der See immer, eher sichtbar / oder eher unsichtbar, doch nie genau sichtbar und / nie genau unsichtbar.»

Und um den üppigen lyrischen Ausklang zu vervollständigen: Kaum bekannt, dichtete Matthias Claudius in seinem Abendlied, dessen erste Strophe jedes Kind kennt, in der vierten Strophe: «Wir stolze Menschenkinder
 / Sind eitel arme Sünder
 / Und wissen gar nicht viel;
 / Wir spinnen Luftgespinste / 
Und suchen viele Künste / 
Und kommen weiter von dem Ziel.»

Herrgott! Wenn das kein Schluss ist!

Matthias Kuhn

 

Emanuel Geisser wurde 1974 in Gais geboren und ist dort aufgewachsen. Er studierte an der Ecole supérieure d’art visuel in Genf, anschliessend in Hamburg an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Heute lebt er in Berlin. Er ist Mitglied der Künstlergruppe «Appenzell Biennale».

 

Weitere Materialien
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Weitere Informationen
> Emanuel Geisser unter http://www.emanuelgeisser.com
> Appenzell Biennale unter http://www.appenzellbiennale.org.com