Da ist nichts. Nur die rohe Lochplatte, die unschön, aber funktional das Gefäss auskleidet. Hat der Schaukasten in Herisau vor lauter Sensibilitäten den Geist aufgegeben? Aber nein, es leuchtet Rosa von den Seiten. «Slow Flow», so der Titel der Installation von Thomas Stüssi, bearbeitet mit minimalen Mitteln und natürlichen Stosskräften die Kastenarchitektur. Mit Witz im Spiel und Sinn fürs Ganze verführt der Tempodrossler zur Liebe an der Reduktion. Und zum Nachdenken über Vorgänge. Weniger ist mehr. Definitiv.

 

 

Löchrig wie die Rückwand des Schaukastens: Die Einladungskarte zur Ausstellung von
Thomas Stüssi in Herisau und die Ansicht des auf den ersten Blick leeren Kastens.

 

Wozu dann aber die Bazooka-Spuren im Kasten? Oder wie sonst als mit dieser zähen Kaugummi-Masse sind die zarten Ziehspuren in die Vitrine geraten? Das Rekonstruieren rollt langsam. Die Innenausstattung des Schaukastens aus Lochplatten hat Thomas Stüssi vertikal gestellt und mit einem Zweikomponenten-Kunststoff solcherart behandelt, dass sie zu einer Art Spätzli-Sieb geworden ist. Die sich in der Konsistenz mit der Zeit verändernde Masse tropft durch den Raster und zieht Fäden, die sich verfestigen. Entscheidend ist die Topfzeit, die Verarbeitbarkeitdauer. Dann kommt das Innenleben erneut in die Horizontale und in den Kasten. Fertig ist das die Seh- und Vorstellungskraft anregende Wunderwerk.

Es sind alltägliche physikalische Phänomene oder gesellschaftliche Konventionen und andere Beobachtungen aus dem Menschenreich, die Thomas Stüssi in seinen Arbeiten aufspürt, sichtbar macht und umdeutet. Farbe kann auch mal nach oben fliessen; als Arbeit heisst dies dann «Gravity is our friend». Seine Werkzeuge sind aus Silikon und heissen Software, das Labtop aus Holz und heisst Backup – sicher ist sicher. Den Alfa Romeo GTV aus dem Jahr 1978, dem Jahrgang des Künstlers, baut er sich aus Karton nach. Überhaupt, Thomas Stüssi ist ein Bauer, ein Brücken- und Ideenbauer. Als Grubenmann der Gegenwart verbindet er in einem Istanbuler Hinterhof mit Brücken aus Zuckerwattestäbchen Menschen. Aus Kunststoffleisten konstruiert er eine handfeste Wolke. Andere Arbeiten sind zwischen 2001 und 2009 im Kollektiv FMSW (FallerMiethStüssiWeck) entstanden, so auch das abenteuerliche Projekt «Gegen Null - Expedition zum Nullpunkt», bei dem die Gruppe eine Stahlkugel am geografischen Nullpunkt, dort, wo der Äquator und der Nullmeridian sich kreuzen, 300km südlich der Ghanaischen Küste im Meer versenkten. Immer wieder geht es um die Frage der Positionierung des Menschen in der Welt und im Universum. Stüssis Suche nach Antworten ist gelenkt von Lust, Leichtigkeit und Humor.

Ursula Badrutt Schoch

 

Thomas Stüssi ist 1978 geboren, in Teufen aufgewachsen und lebt in Berlin.

 

Weitere Materialien
> Bildergalerie zu Thomas Stüssi

Weitere Informationen
> Thomas Stüssi unter http://www.stüssi.tv
> FallerMiethStuessiWeck unter http://www.fmsw.net