Was verbirgt sich hinter den Dingen, hinter den Oberflächen, hinter geschlossenen Fenstern? Und wie lässt sich etwas, das nicht sichtbar ist, darstellen? Vor gut zehn Jahren ist die ausgebildete Textilentwerferin Loredana Sperini, die gerade die Hochschule für Gestaltung und Kunst in Luzern abgeschlossen hat, mit einzigartigen Stickereien ins Bewusstsein der Kunstszene gerückt. In langwieriger Handarbeit und motivisch mittels Fotografien und Zeichnungen entwickelt, stickte Loredana Sperini Szenerien, die hinter dem eigentlich Sichtbaren Emotionen und Energieflüsse handfest machen. Übersinnliches und Auratisches werden ebenso greifbar wie Tränen und Erbrochenes.

 

Die Einladungskarte zur Ausstellung von Loredana Sperini im Schaukasten Herisau.

 

Statt sich im Erfolg zu sonnen, arbeitet Loredana Sperini in den folgenden Jahren in anderen Medien am Versuch weiter, Unsichtbarem Gestalt zu geben – weiterhin unzeitgemäss langsam und geheimnisvoll entrückt. Es entstehen körperhafte Gebilde in Wachs oder Spiegel und Gestänge, dreidimensional in den Raum vorstossend. In den letzten Jahren haben die dritte und vierte Dimension auch in Form gefundener Fragmente Einzug gehalten. Körperteile und abstrakte Konstruktionen bilden neue Ausgangspunkte für den Balanceakt zwischen Schönheit und Grauen, Vertrautheit und Fremdsein, Vergeistigung und Zerstörung, Freiheit und Gefangensein. Weiterhin mit dem Haptischen spielend, greifen die Arbeiten von Loredana Sperini immer mehr in den Raum aus.

 

«dientro la finestra» ...

 

Die Kleinheit des Schaukastens bedeutet eine Herausforderung. Loredana Sperini sucht nach Möglichkeiten der Überwindung von Grenzen. Einerseits respektiert sie die Form, andererseits trachtet sie die Enge zu sprengen, der Begrenztheit Unendlichkeit entgegenzustellen, Innen und Aussen, Licht und Dunkelheit, aber auch Malerei und Bildhauerei zu vereinen. Seit einigen Jahren sammelt sie alte Fenster. Für Herisau hat sie zwei solche winddurchlässige Fenster in Wachs gegossen. Auf den Wachsscheiben leuchten Farben. So schauen wir durch das Fenster auf neue alte Fenster von aussen nach innen und zurück, erkennen vielleicht Landschaften auf den Glasscheiben aus Wachs, Leuchtphänomene und Düsternis. Und geraten immer tiefer ins eigene Innenleben, ins Erinnerungenleben. «dietro la finestra» ist ein Experiment, ein Weitergehen auf den risikoreichen Wegen eigenständiger Kunstproduktion. Dass Loredana Sperini die einzelnen Schritte des Arbeitsprozesses wie schon damals bei den Stickereien nicht aus der Hand gibt, dass sie bei sich im Atelier giesst, ausprobiert, scheitert, korrigiert und nochmals giesst, gehört zu ihrer Arbeit. Genauso wie wir nun vor dem Fenster stehen - und gleichzeitig dahinter (dietro) - und staunen.

Ursula Badrutt Schoch

 

Loredana Sperini ist (*1970) in Wattwil geboren, in Lichtensteig aufgewachsen und lebt und arbeitet in Zürich.

 

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