Im Schaukasten sieht es derzeit seltsam aus. Ein paar komische Sachen liegen drin. Zuerst denkt man, Hofer hat vergessen nach dem Einrichten wieder aufzuräumen. Ein Plastikbündel, zusammengeklebt, ein kaputtes Automodell, ein Eimer. Allerdings befindet sich im Schaukasten auch ein kleiner Bildschirm, der uns in eine Welt hineinschauen lässt, die wesentlich umfangreicher ist, als sie der Schaukasten jemals aufnehmen und zur Schau stellen könnte, die so ausgedehnt gebaut und gedacht ist, dass sie den Schaukasten Kraft ihres Inhaltes sprengt.

 

Einladung zur Ausstellung mit Erwin Hofer im Schaukasten Herisau

 

Aber der Reihe nach: Der St.Galler Künstler Erwin Hofer ist ein leidenschaftlicher Sammler, so leidenschaftlich, dass er alles sammelt, nichts wegwirft, in jedem Zettelchen, jedem Gegenstand einen Sinn und eine potentielle Wiederverwendung erkennt. Er sammelt, um hier den Anfang einer Aufzählung zu wagen, Abbildungen und Textfragmente aus Büchern und Magazinen der unterschiedlichsten kulturellen, populär-wissenschaftlichen, technischen und historischen Inhalte, Zettel, Ausrisse, Exzerpte, Zeichnungen von unbekannter Hand ... und dann auch Gegenstände, auf Flohmärkten und im Altpapier und Abfall gefunden, darunter Puppen und Püppchen, Automodelle, auch eine Playmobil-Garage zum Beispiel oder eine Kindernähmaschine aus den 60er-Jahren, Bruchstücke, vieles aus Plastik, aus Holz oder aus Metall, verbogen und verdreht, kaputt oder noch ganz, Plastikbahnen- und bündel, verklebt, verklammert, aber auch Schachteln aller Materialien und Grössen, mechanische und elektrische Geräte vom Bügeleisen bis zum Plattenspieler ... Mit den Materialien arbeitet Hofer weiter. Er sampelt, kompiliert, bearbeitet, verarbeitet (weiter), klatscht ab und übermalt und überzeichnet, kopiert und überarbeitet unermüdlich und bringt diese Materialien sowohl in seiner Bilderwelt als auch in üppigen Auslegeordnungen und Installationen in überraschende, manchmal ordentliche, will sagen, verständliche, und manchmal in chaotische Ordnungssysteme, vielleicht auch Unordnungssysteme, vielschichtig verdichtet und anspielungsreich verspielt.

Das Interessante an diesen Hofer'schen Auslegungen und Anordnungen ist, dass nichts so ist, wie es scheint, dass alles ständig seine Bedeutung ändert. Nehmen wir als Beispiel einen zusammengeklebten Packen Bauplastik, Abfall, weil er einmal gebraucht wurde und jetzt aber nicht mehr. Er landet in Erwin Hofers Sammlung, weil der Künstler ihn später einmal verwenden will. In einer Installation taucht der Plastik also wieder auf und man fragt sich, wozu er wohl einst gebraucht wurde, was heisst, dass wir dem Stück, überraschend, eine Geschichte zubilligen. Ein guter Anfang. Als ich dann sah, mit eigenen Augen, letzte Woche, wie der Künstler den Plastik auf eine weisse Schachtel, erhöht, in den Schaukasten legte, dachte ich gleich: klarer Fall, eine Wolke! Keine Ahnung wieso, aber tätsächlich, im Schaukasten schwebte eine Regenwolke. Diese Wolke fotografierte ich schnell, denn so ein unerwarteter Bedeutungsumschwung muss dokumentiert sein. Ich erschrak über den ungünstigen Ausschnitt, denn das Bild zeigte den deutlichen Eisabbruch eines sich zurückziehenden Alpengletschers. Genau hinter solchem Wandel der Bedeutungen ist Hofer her.

 

«sneak to smirk» bei Tag ...

... und bei Nacht.

 

Für die Installation «sneak to smirk» hat Erwin Hofer sein Instrumentarium um eine kleine, handelsübliche Digitalkamera, wie sie einem in jedem Elektronikmarkt für wenig Geld nachgeworfen wird, erweitert. In seinem Atelier hat er begonnen dieses ausufernd üppige Universum in den Kasten zu holen, hat Fahrten über Bilder gefilmt, als wären seine Malereien Landschaften, hat Modellwelten gebaut, zusammengestellt aus den Materialien seiner Sammlungen, die im Atelier eingelagert sind und herumstanden, hat alles am Computer geschnitten, zusammengefügt und zuletzt auch noch Vor- und Abspänne eingefügt. Eines greift ins andere, geheimnisvoll irgendwie, überraschend, aber auch wieder folgerichtig. Das Thema des Filmes, der Kompilation eigentlich, scheint nicht festgelegt, es ergibt sich vielmehr, zumal wenn der Betrachter beim Sehen nachzudenken beginnt und seine Gedanken sich einzumischen beginnen ... sehr spielerisch und ausgesprochen assoziativ. Der Hauptfilm, einst verschollen, und erst kürzlich wieder aufgetaucht, sagt Hofer, «sneak to smirk», ist eine kurvige Fahrt durch die Welt Hofers auf einem Traktor, das heisst, wir sehen die Welt durch die Augen des Traktors, oder besser, eigentlich ist der Traktor die Kamera, der Übersetzer von der Realität der Welt in eine verwirrende Irrealität des Mediums ... doch zuweilen geht es dann auchwieder ganz logisch zu und her, bis die Fahrt in einer Grossaufnahme des Helden endet. Ich sage nur: Tubelgrinskopf. Das müssen sie sich selber ansehen ... Der Film und die Entwicklung seiner Handlung spotten jeder Beschreibung. Was kann ich also noch sagen?

Matthias Kuhn

 

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