Man braucht nicht viel Besonderes zu sehen. Man sieht so schon viel. Der Satz von Robert Walser trifft die Arbeit von Katalin Deér besonders gut. Es ist nichts Besonders, das sie sammelt und fotografisch festhält. Sie arrangiert nicht. Sie nimmt, was da ist, gibt dem Zufall der Konstellationen Raum. Besonders aber ist ihr Blick auf das Gebaute um uns, auf Architektur als Ausdruck und Hintergrund unseres Lebens. Es ist der Blick der Bildhauerin. Besonders ist auch ihr Umgang mit der Fotografie, das Kippen zwischen dem Zwei- und dem Dreidimensionalen. «Unterwegs, in Fahrt, mache ich Bilder», sagt sie. «So halten die Bilder an, werden Stills. In der Flüchtigkeit des Augenblicks bekommt etwas Gesehenes Festigkeit.» Seit längerer Zeit untersucht sie Formen und Wege, um den fotografischen Bildern, die Raum ins Zweidimensionale projizieren, ihren dreidimensionalen Charakter zurückzugeben. Zum Beispiel, indem sie die Fotos zerschneidet, faltet, zu Körpern baut, wieder abfotografiert. Auch schon hat sie grosse Fotos in Betonwände oder Stuckplatten eingegossen, um sie wieder Teil eines Körpers im Raum werden zu lassen.

 

Die EInladungskarte zu «Herisau Haus» von Katalin Deér im Schaukasten Herisau ...

... und der fertig eingerichtete Kasten.

 

Mit der Arbeit «Herisau Haus» für den Schaukasten Herisau experimentiert Katalin Deér erstmals mit Gipsformen, die sie den natürlichen Wölbungen und forcierten Knicken im Barytpapier entlang giesst, in unterschiedlichen Tiefen die Form abnimmt. Die Bildsujets hat sie aus ihrem grossen Archiv ausgewählt, einzelne sind spezifisch zur Ausstellung entstanden. Sie zeigen alle Architekturen aus Herisau und Umgebung, eigentlich vertraute Bauten - die Migros, das Transportunternehmen an der Eggstrasse, die leer stehende Seilerei an der St.Galler Strasse, der Siloturm am Weg nach Appenzell, die Haslen-Mühle in Gossau, das Bauernhaus. Und doch ist es, als sähen wir sie zum ersten Mal. Es sind Skulpturen, nicht Architekturen. Anlass zu einem Bild geben ihr die eigene Berührtheit, Empfindungen beim Anblick der jeweiligen Situation. Dadurch verlieren die Bauten ihre Neutralität, sie zeigen ihr Altern, ihr Verwachsen mit der Umgebung. Zur Umgebung gehört in der Fotografie auch das Fotopapier. Katalin Deér behandelt es als integralen und ebenbürtigen Bestandteil der abgebildeten Bauten, als Körper. Darin eingelassen ist die Seele.

Ursula Badrutt Schoch

 

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