Der Schaukasten Herisau scheint geschlossen, eine Platte packt die Scheibe zu und schützt auf den ersten Blick und aus Distanz vor Blicken ins Innere. Die Eingriffe betonen den Objektcharakter der ehemaligen Werbeplattform und machen sie zum Nistkasten für visuelle Erkundungen. Neugierige bemerken das Loch und kommen näher, Neugierigere werden einen Blick hineinwerfen. Nichts. Nur schwarze Leere. Jetzt braucht es die Geduldigen.

 

Die Einladungskarte zu «Septum» von Ueli Frischknecht: Ein Camera Obscura-Bild
der Umgebung des Schaukastens.

 

Ueli Frischknecht hat aus dem Schaukasten einen Schaukasten im wahrsten Sinne des Wortes gemacht, eine in die Architektur des Postgebäudes integrierte Camera obscura, eine Laterna magica gar. Über ein kaum sichtbares zweites Loch von wenigen Millimetern Durchmessern kommt ein feiner Lichtstrahl durch die Verschalung in den Kasten. Sobald wir, durch die eigene Neugierde getrieben, durchs grössere Loch schauen, verdunkeln wir den Kasten, das kleine Zweitloch wird zur einzigen Lichtquelle.

Nicht nur Licht drängt hinein. Der Schaukasten stellt die Welt auf den Kopf. Denn im Innern bildet sich das Aussen ab. Das Bild entsteht erst durch unser Schauen. Was ist im Kasten, wenn niemand hineinsieht? Was sehen wir, wenn wir schauen?

 

Der Schaukasten Herisau, umgebaut zur Camera Obscura ...

 

Der Schaukasten ist auch ein Projektionskasten. Die Umgebung und das Geschehen vor der Post kommen als Film in den Kasten, in Echtzeit und ohne Konservierungsmittel. Der Lauf der Tageszeiten, der Übergang vom Winter in den Frühling wird dokumentiert, aber nicht festgehalten. Oder sind es unsere Netzhautzuckungen? Erinnerungsbilder? Erscheinungen? Visionen? Die Wirklichkeit wird immateriell und imaginär, das Imaginäre Wirklichkeit.

Hervorgerufen werden die Bilder durch das Anbringen der Scheidewand, des Septums zwischen dem inneren und äusseren Raum, zwischen Alltag und Kunst, Welt und Kasten. Gleichzeitig hebt Ueli Frischknecht präzis diese Trennung, die schützende Einfriedung wieder auf, indem er die beiden Löcher anbringt und den Austausch zwischen da und dort anstösst.

 

... und das erste Bild.

 

Es entspricht wohl der Vielfalt seiner Tätigkeiten, die dem Sowohl-als-auch anstelle des Entweder-oder den Vorrang gibt. Künstlerische, gestalterische, architektonische, mathematische, physikalische, psychologische, phänomenologische, philosophische Belange werden durchs Septum vereint.

Ursula Badrutt Schoch

 

Ueli Frischknecht ist 1980 geboren und in Herisau aufgewachsen. Nach Jahren im Tessin und in Graubünden ist er zurzeit als Stipendiat der Schlesinger Stiftung im Birli in Wald zuhause.

 

Weitere Materialien
> Bildergalerie zu Ueli Frischknecht