Angeregt durch den «Schaukasten Herisau» als kulturelle Nische und temporäre, teilautonome Zone im Alltag von Herisau, entwickelt Yeliz Palak ein Projekt, das dem Thema der Nische als gesellschaftliches Phänomen und Bedürfnis nachgeht. In Vorbereitung ihres Auftritts im Schaukasten fragt die in Zürich und Berlin lebende Künstlerin in Herisau nach Zonen, die als öffentliche Nischen funktionieren, nach Innenräumen, die für einen nicht kommerziellen Aufenthalt genutzt und ohne Konsumationszwang belebt werden können: «Wo gibt es Orte, die angeeignet und für nicht vorgegebene Zwecke umfunktioniert werden können. Existieren solche Orte überhaupt?» Ihre Recherchen zielen sowohl in Untersuchungen über gesellschaftliche Strukturen und Verhaltensweisen in einer Ortschaft mit Vorort-Charakter, aber auch in eine grundlegende Thematisierung der Definition von und des Bedürfnisses nach Nischen, nach Rückzugsorten, Verstecken in einer zunehmend durchorganisierten, überreglementierten, ökonomisierten und privatisierten Öffentlichkeit.

 

Die Einladungskarte zu Yeliz Palaks Nischen-Projekt.

 

Parallel zu solchen Verschiebungen scheinen auch immer mehr Vogelarten zu verschwinden, wie ein Plakat mit einer Zusammenstellung der vom Aussterben bedrohten Vögel in der Nähe des Schaukasten belegt. Der etymologische Zusammenhang von Nischen und Nisten (lat. Nidus = Nest, franz. nicher = ein Nest bauen) weitet sich über die zur Ausstellung im Schaukasten entwickelte Postkarte in inhaltliche Zusammenhänge aus.

 

Der Schaukasten als Nischen-Info-Leuchtkasten.

 

Die Ergebnisse ihrer Befragungen über Nischen in Herisau überträgt Yeliz Palak in einen Ortsplan, der im Schaukasten zugänglich gemacht wird. Orte wie das Interkulturelle Zentrum, das erst im nächsten Jahr wieder eröffnete Jugendhaus, der Vorraum des Cinétreffs, der Eingang des Sportzentrums, das Shopping Center Gutenberg oder die (als einzige immer geöffneten) Wartesäle des Bahnhofs, ergeben einen nicht sehr reichen Ertrag. Dabei zeigt sich ein grundlegender Widerspruch zwischen dem Charakter von Nischen als potentielle Verstecke und der Offenlegung in einem die Orte untereinander vernetzenden Kartografieren.

Yeliz Palak hat sich in verschiedenen künstlerischen Arbeiten mit Fragen zu Öffentlichkeiten auseinandergesetzt (zum Teil in Zusammenarbeit mit Pablo Müller). «Acht Postkarten» von 2004, die ausgewählte Häuser dokumentieren, ist eine Recherchearbeit zu urbanen Prozessen, ökonomischen Bedingungen und sozialen Auswirkungen. Für «Weisse Plakate» 2005 wurden von der Allgemeinen Plakat Gesellschaft (APG) bewirtschafte Werbeflächen mit unbedruckten Plakaten überklebt. Die Aktion hatte eine Strafanzeige und eine Strafverfügung zur Folge. Als Diplomarbeit realisierte Yeliz Palak 2007 unter anderem eine Skaterampe als Ein- und Ausgang in die Ausstellung im Zürcher Toni-Areal. «Nischen» in Herisau reiht sich konsequent in Yeliz Palaks künstlerische Auseinandersetzungen mit Raum und Gesellschaft ein.

Ursula Badrutt Schoch

 

Yeliz Palak ist 1981 in Zug geboren. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Berlin. Nach dem Studium der Bildenden Kunst an der Hochschule für Gestaltung und Kunst in Zürich (2003-2007) studiert sie seit 2006 an der Universität der Künste in Berlin.

 

Weitere Materialien
> Nischen-Plan Herisau
> Bildergalerie zu Yeliz Palak