«Das Geheimnis ist, dass man nicht einfach Zäuerle lernen kann. Man muss wissen, was der Säntis bedeutet, wenn man ihn anschaut. Der Säntis ist wie zäuerlen - rauf und runter. So ist das.»

Der Schaukasten ist jetzt Hörkasten, ein Objekt. Radiolautsprecher. Doch muss man schon genau hinhören, das Ohr hinhalten, die Antennen ausstrecken. Der Sender sucht. Es ist das Suchen nach jenen Tönen, die wir kennen, verstehen. Das Rauschen und Knistern ist fremd, von einem anderen Planeten. Oder aber es zischt und faucht, ist abweisend und unfreundlich. Oder es wird zu Musik, zu Rhythmus. Dann gibt es Frequenzen, die klingen wie Vertrautes. Eine Musikdose ertönt. Stammtischgespräche. Ein Mann (Hans Ueli Wälte) erzählt vom Zäuerlen. Es sei ein Ausdruck von Freude. Aber nicht nur. Was noch? Ein Ausdruck von Schwere? Ist es die Seele, die redet? Es sei wie von einer anderen Welt. Das Vertraute ist das Fremde.

 

Bühlers Postkartenpostkarte als Einladung zum «zarten Schauern» ...

 

Es ist ein Heimspiel, das Karin Bühler in Herisau bestreitet. Im Ifang aufgewachsen, durften sie und ihre Schwester manchmal den Vater in die Beiz begleiten, am Stammtisch zusammenrücken. Da konnte es geschehen, dass plötzlich ein Zäuerli startet und alles rundum verstummte. «Da spürte ich viel Melancholie und innige stille Freude, eine schöne Ernsthaftigkeit. Die unterbrochenen Gespräche wurden nach kurzem Räuspern wieder weiter geführt.»

Diese Begebenheit, die sich nicht erklären lässt, reizt Karin Bühler, in eine neue Form zu übersetzen. «Mich interessiert der Blick hinter die Postkartenansicht, um dort das zufällig aufflackernde Urige erhaschen zu können.» Das zarte Schaudern ist Erinnerungsarbeit.

 

Karin Bühler verwandelt den Schaukasten in eine Audiobox.

 

Schon seit einiger Zeit beschäftigt sich Karin Bühler mit Fragen rund um die Erinnerung. Was ist erinnerungswürdig und wie lässt sich Erinnertes und Vergessengeglaubtes abrufen. Welche Bilder, welche Geräusche, welche Gerüche sind mit welchen Erinnerungen und Erfahrungen verbunden? Dabei vermischt sie Gefundenes und Eigenes, aus Distanz Beobachtetes und herznah Privates zu eigentümlichen Stimmungsgebilden zwischen Nostalgie, Langeweile, Sehnsuchtsanalyse und Vision.

Sie schneidet Aufzeichnungen aus realen Gesprächen und Erzählungen zu fiktiven Hörcollagen zusammen. Dabei vermeidet sie narrative Strukturen, Spannung und Höhepunkte. «Bagatellen» ist eine Arbeit von 2004-07, die Um- und Abwege und Nebensächliches untersucht, das Unaufgeregte in einer momentanen Aufregung. Auch «Weile mit Weile», 2007 entstanden für das Alte Spital beziehungsweise den Palais Blue in Trogen, erforscht das Vergehen der Zeit in der Begegnung mit der eigenen und fremden Langeweile.

Neben den Audio-Arbeiten und Installationen entstehen auch Objekte und Fotografien. In sachter Poesie schenkt Karin Bühler dem Belanglosen und Leisen Aufmerksamkeit und damit Würde, und mit beiläufiger Leichtigkeit macht sie lebensphilosophische Themen rund ums Herumschweifen zugänglich.

Ursula Badrutt Schoch

 

Karin Bühler ist 1974 in Herisau geboren und aufgewachsen und lebt in St.Gallen.

 

Weitere Materialien
> Bildergalerie zu Karin Bühler

Weitere Informationen
> http://www.kuenstlerarchiv.ch/karinbuehler