Die Post vermietet in der ganzen Schweiz an prominenter Lage Schaukästen für Werbezwecke. Ein Schaukasten in Herisau AR wird auf Initiative einer Gruppe Kulturleute zum kleinen Ort für Kultur - begrenzt in den Ausmassen, grenzenlos in den Möglichkeiten. Viermal jährlich wechseln die Ausstellungen. Die Eröffnungen sind als Anlässe zum Treffen gestaltet, wo Gespräche stattfinden, wo gegessen, getrunken werden kann, wo Austausch stattfindet, wo Vorübergehende hängen bleiben, wo die Wirksamkeit des Werbekastens als Kunst im Leben erfahren wird.

 

Die Einladungskarte zeigt – allerdings verhüllt – einen Teil der Konferenzteilnehmer.

 

Kommt nach dem Plastikfigurensetzen jetzt die Edelvariante in Marmor? Die Schaukastenkarte jedenfalls tut wichtig und geheimnisvoll. Eine Gruppe Vermummte wartet auf ihre Enthüllung. Wie es alle grossen Denkmäler einmal in ihrem Leben tun. Fast könnte man an eine Krippenszene denken. Was in der vorweihnächtlichen Wartezeit gar nicht so abwegig wäre. Oder handelt es sich um Skulpturenmodelle für jene Kunst, die später auf dem Kreisel am Obstmarkt platziert wird?

 

In der Installation sind dann nicht mehr die Konferenzteilnehmerinnen verhüllt, sondern
das Fenster des Schaukastens ...

 

... das allerdings trotzdem den einen oder andern erhellenden Einblick offen lässt.

 

Die Zürcher Künstlerin Felicita Felley, die zum zweiten Schaukasten-Anlass nach Herisau eingeladen wurde, hat die Gelegenheit wahrgenommen und sich mit dem Brauchtum der Gegend auseinandergesetzt. Für ihre Beobachtungen zu den volkskundlichen Besonderheiten und den sozial- und realpolitischen Verhaltensweisen entwickelte sie die Szenerie der Konferenz. Ob Gidio Hosenstoss, Silvesterchlaus und der Säntisries zum Vorschein kommen, oder eben doch eine Hand voll Regierungsrätliches oder gar Geisterhaftes, kann im Schaukasten erspäht werden.

 

Felicita Felley beim Aufbau ihrer Installation im Schaukasten Herisau.

 

Die 1979 geborenen Künstlerin gibt in ihrem Schaffen den Skurrilitäten des Lebens Formen, die sich an Bildern und Objekten der Pop-Art und der Nippes aus dem Souvenirladen orientieren. Die auf den ersten Blick lieblich kindliche Sprache legt Wege in die dunklen Zonen frei. Mit dem zweiten Blick nämlich bekommen Angst, Einsamkeit, Triebe, Unsicherheit, aber auch Träume, Sehnsüchte und Visionen ein Gesicht. Oder Geschichten. Dunkle Seiten werden krude aufgedeckt und aus dem harmlosen Spiel tiefe Abgründe gefiltert. Anlehnungen an religiöse Riten und mystische Figuren beschwören das Streben nach Gemeinschaft und führen gleichzeitig die Vereinsamung des Individuums vor Auge. Da gibt’s einen zerschnittenen Brotlaib auf Goldgrund, Leichenfragmente, einen süssen Hundekopf, gruslige Fetische, eine lasziv sich Spiegelnde oder jenen Moment aufgetischt, an dem man über sich selbst am meisten erschrickt. Piktogrammartig vereinfacht, comicartig verspielt oder komplex realistisch, spürt Felicita Felley in eingängigen und humorvollen Malereien und Objekten dem Wesen jener Menschen nach, die wir alle selber sind. Beklemmend ernsthaft und befreiend lustvoll zugleich.

Was treiben sie? Sind sie am Festen? Oder wird endlich kommuniziert und debattiert und Weltpolitik im Dorf gemacht? Die «Konferenz» findet hinter geschlossenen Türen im fast blickdichten Raum statt. Hier sind sie zusammengekommen, die identitätsstiftenden Figuren des Appenzellerlandes, und treiben ihr Unwesen. Der Schönwüste hat dem Schönen sein Gesicht geklaut, der Wappenbär hat – endlich – seine Gespielin (Ida Schläpfer, die Kunstfigur des Schaukastenvorgängers Fricker, ist auferstanden) und Gidio lacht sich einen Schranz in den Läckerlibauch.

Ursula Badrutt Schoch